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Die Moskauer Undergroundszene feierte den 80. Geburtstag ihrer Ikone: Pani Bronja. Eine Hollywood-Erfolgsstory à la Russe. Vom Fließband zur gekrönten Muse des russischen Modezaren und Performancestars Alexander Liaschenko Petljura. Eine Hommage an das älteste aktive Modell der Welt. Von Manuela Hötzl.

Schönes Alter - Die russische Diva Bronja

Bronislava Anatolevna Dubner trug Krönchen, weiße Spitze, Tüll und goldenen Glitter an diesem Maiabend im Moskauer In-Lokal „Gogol“, das sich in einer der neuen Einkaufpassagen befindet, voller Diors-, Versaces- und Donna Karans-Shops, Botschafter der ewig jugendlichen globalen Modewelt. Der Gegensatz konnte nicht größer sein an diesem Abend. Alle waren sie gekommen, die Künstler, Neureichen, Schönen und Exzentriker der russischen Hauptstadt, um einer Frau die Referenz zu erweisen, die allen Schönheits- und Jugendwahn Hohn spricht: Ihrer Exzellenz, Mademoiselle Dubner, der gekrönten Muse des russischen Modezaren und Performancestars Alexander Liaschenko Petljura, dem ältesten aktiven Modell der Welt, die an diesem Abend mit Glanz und Gloria ihren 80. Geburtstag feierte. Es regnete Blumen für die als Schneeflöckchen verkleidete Bronja. Bekannte Pop-, Rock- und Performancekünstler trugen Ständchen, Rockballaden und Gedichte vor. Star Bronja nahm unzählige Handküsse und Stapel von Geschenken entgegen. Selbst aus Österreich war eine Delegation eingeflogen, um ihrer Verehrung für die russische Ikone des Alters mit traditionellen heimischen Insignien Ausdruck zu verleihen: einem steirischen Dirndl und einer Kuckucksuhr. „Schneekönigin“ Bronja strahlte den Charme ihres „Ewigen Frühling“ von der Bühne, auf die sie ihr Entdecker und Förderer, der Künstler Alexander Liaschenko Petljura vor zehn Jahren holte, auf dass sie wahlweise das Leben einer Primadonna, einer Balletttänzerin, Schauspielerin, Malerin oder eines Modell lebt. Eine glamouröse Alternative zum Altersheim.
Dabei fing alles ganz anders an. Ihre ersten sechzig Lebensjahre verbrachte Bronislava Dubner fern der Kunstszene in der sowjetischen Arbeiterschicht. Zusammen mit ihrem Mann Abramovich arbeitete sie jahrzehntelang am Fließband einer Kartonfabrik. Das Paar wohnte am Petrovskij Boulevard, Mitten in der Moskauer City, als letzte Mieter in einem riesigen verfallenen Gebäudekomplex. Dort traf sie vor einem Jahrzehnt Alexander Liaschenko an, genannt „Petljura“, damals wie heute eine notorische Figur in der Moskauer Kunstszene. Er „übernahm“ das Haus am Petrovskij Boulevard, samt seiner letzten zwei Bewohner, um dort eine alternative Kunstakademie zu gründen. Die ersten Mitglieder seiner Institution sollten Bronislava und Abramovich Dubner werden. Der Künstler Liaschenko schlug vor, ihnen den gleichen Lohn wie in der Kartonfabrik zu bezahlen - wenn sie stattdessen Kunst produzieren würden. Eine Woche später erschien Bronja zur vereinbarten Gehaltsauszahlung mit ihren ersten Zeichnungen. Ihr Ehemann entschied sich für eine Laufbahn als Schriftsteller und Lenin-Biograf.
Die KünstlerInnengruppe rund um Petljura integrierte in folge das Paar in ihre Aktionen und Aufführungen - so entstand der Mythos, um das bekannteste freie Kulturzentrum Moskaus in den Neunziger Jahren, der Petrovskij Boulevard 12, "U Petljuri". Symbolisch, für die freie Kunstszene Moskaus, steht Bronja, als „unsterbliche“ Ikone, Königin und Maskottchen. Eine schillernde Karriere, deren Meilenstein die Verleihung der Krone zur Alternative Miss World 1998 in London an Bronja war.
Heute ist das Haus am Petrovskij Boulevard längst zu einem Hotel umgebaut, Bronjas Ehemann verstorben, aber Madame Dubner wird weiter gefeiert, stilisiert und verkleidet, manchmal mehr als Kunstwerk, denn als Mensch, wie manche kritisieren. Das Material für ihre exzentrischen Outfits liefert seinem Modell ihr „Erfinder“ Alexander Liaschenkos, der in seinem Keller über ein Kleider- und Accessoirelager von über 45.000 Objekten verfügt, einer einzigartigen Textil-Sammlung aus historischen Kostümen, Flohmarktperlen und eigenen Modekollektionen, Zeitzeugen russischer Modegeschichte aus über hundert Jahren. Und während andere Großmütter Socken stricken, fabriziert die Moskauer Muse bis heute trotz zweier Herzinfarkte, in naiver Manier, ihre Zeichnungen: exzentrische Figuren, Fabelwesen, reich verziert, fantasievoll mit komplizierten Kopfbedenkungen und Kostümen, kleine Bronjas, ihr Leben als Glamourstar eben.
Auch zu Österreich hat Bronislava Dubner seit langem eine besondere Beziehung. Ihre erste Einzelausstellung außerhalb Russlands fand 1995 im „Raum für Kunst“ in Graz statt. Doch sie und ihre Performances werden in Zukunft dem Moskauer Publikum vorbehalten sein. Auftritte außerhalb Russlands sind aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr geplant. Eine große „Feier - Dubner in Platin – 2024“ in Moskau schon. Als Bronja nach der Modeperformance "Kampf zweier Systeme" (2000) in Krems einen Herzanfall erlitt, wurde sie auch von Wiener Künstlern standesgemäß aufgenommen. Wer um sie war, wird erzählt, hatte beileibe keinen „Pflegefall“ zu betreuen, sondern einen Star, der gewohnt ist, auch so behandelt zu werden. Die Hauptaufgabe bestand ausschließlich darin, sie von Zigaretten und Wodka fernzuhalten und ihr, wann immer es möglich war, Ehre und Handküsse zuteil werden zu lassen, um sie bei Laune zu halten. Auf Parties verlangte sie stets einen „Thron“ inmitten der Menge, auf dass ihr Fans zu Füßen liegen, um sie zu unterhalten. Russisch zu sprechen, ist dafür nicht nötig. Bronja, berühmt für ihre Grimassen und ihren reichen Gestus, gelingt es immer Aufmerksamkeit zu erregen und sich verständlich zu machen. Die einen mögen diesen Kult als das beste Altersversorgung der Welt sehen, ihr „Vater“, Alexander Liaschenko, nennt es "D-Kultur", auf Russisch: „demokraticheskaja, detskaja, debilnaja kultura“, demokratische, kindliche, debile Kultur, dessen Botschafterin Pani Bronja ist. Jugend ist vergänglich, Schönheit nicht.



Fotos: Elmar Gubisch
erschienen in "Datum", Ausgabe Juli/Aug.04, S.67
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